Neuanfänge

Manchmal haben wir uns in unserem Leben eine Situation so verstrickt, dass wir am liebsten den Reset-Knopf drücken und unser Leben noch einmal neu booten würden. Diese Neustarts dauern für gewöhnlich eine Weile. Zumeist müssen auch fehlerhafte Programme in unserem persönlichen Betriebssystem ein Update erhalten. Ähnlich wie vor dem Computer sitzen wir da und warten, bis alle Reparaturen und Updates endlich erledigt sind.

Ich weiß nicht, wie viele Neustarts ich in meinem Leben schon hatte. Zeitweise hatte ich den Eindruck, dass mein inneres Betriebssystem ein Update dringend nötig hätte, aber aus irgendeinem Grund keines möglich war.

Es gibt wohl keinen Lebensbereich, in dem ich nicht vor einem kompletten Neustart stand - und ich spreche nicht von kleineren Veränderungen oder Umzügen. Nein, ich habe beruflich Jobverlust, Quereinstieg, Wiedereinstieg und Neuorientierung hinter mir.

Ich durfte vom Eingebettetsein in ein Netz aus Freunden und Bekannten, Familie und Gemeinschaft das komplette Alleinerziehenden-Dasein kennenlernen. Nicht das alle-14-Tage-frei Alleinerziehenden-Dasein, sondern die 24/7-Variante ohne Netz und doppelten Boden.

Ich konnte die Erfahrung eines Flüchtlings machen und den Neubeginn im 'Exil'.

Da gab es Ent-Täuschungen und Verluste, Lügen und Intrigen, Kämpfe wie David gegen Goliath, die zu ständigen Systemfehlern führten und wodurch Neustarts an der Tagesordnung waren, innere Programmfehler, die mit der Hardware meines Lebens kollidierten.

Ich weiß, was es heißt, aus der Gesellschaft ausgeschlossen und in sämtliche Schubladen gesteckt zu werden, was die Installation von Kreativ-Software und zeitweise den Betrieb im Energiesparmodus erforderlich machte.

Hin und wieder trat ein Virus auf, der viel Chaos und Systemausfälle verursachte. Meine Malware war nicht auf dem neuesten Stand, so dass es bis zum Corona-Virus dauerte, bis ich ein aktives und zuverlässigeres Antivirenprogramm bei mir installieren konnte.

Die Inkompatibilität mit so mancher Hardware oder anderen Systemen verursachte massive Systemausfälle, was dazu führte, dass irgendwann eine ERROR-Meldung auftrat, die keinen Neustart mehr erlaubte. Der Task-Manager versagte, so dass die täglichen Tasks unerledigt blieben und das erforderliche Output nicht mehr möglich war. Um die Wiederherstellung des Betriebssystems überhaupt wieder möglich zu machen, war eine umfangreiche Ursachen-Analyse sowie ein Repair- und Refreshing-Prozess notwendig.

Dieser Prozess war sehr tiefgreifend und hat viel Datenmüll und Datenfragmente an die Oberfläche befördert.

Was sich jetzt sehr kryptisch anhört, bei dem einen Fragen aufwirft und den anderen zum Schmunzeln bringt, beschreibt mit einem Augenzwinkern einen Teil der Herausforderungen, denen ich innerhalb weniger Jahre gegenüber stand. Außenstehende sagten oft, dass kein 'normaler' Mensch so viele Schwierigkeiten und Krisen in so kurzer Zeit hätte - sehr ermutigende Worte...

Im Rückblick bin ich sehr dankbar für die Erlebnisse, die mich fast mein Leben gekostet haben, für die Katastrophen und Verluste, für den Schmerz und die Ausgrenzung, für die Lügen und die grausame Wahrheit. Ich musste so oft bei Null anfangen, mich völlig neu ausrichten, mich selbst und meine Lebensumstände hinterfragen, dass ich in Turbogeschwindigkeit all das angeschaut, aufgelöst, geheilt und verändert habe, was mich blockiert, klein gehalten und krank gemacht hat.

Ich kann mich heute in so viele Situationen von anderen einfühlen und sie genau dort abholen, wo sie gerade stehen. Ob Arbeitslosigkeit, Trennung, Erziehungsfragen oder gesundheitliche Probleme, ob Ortswechsel, Willkür, Existenzängste oder Nahtoderfahrung, ob Einsamkeit, Ent-Täuschung oder Gefühle der Ohnmacht, ob Alleinerziehende, Menschen im Burnout oder in tiefen Lebenskrisen....

Darin liegt heute meine Berufung, und jeder dieser Neuanfänge waren erforderlich, um all das zu lernen und zu verstehen, was ich heute weiß. 

Seither habe ich gelernt, die stetige Veränderung zu lieben, alles zu schätzen, was ich in diesem Augenblick habe, da ich nicht weiß, wie lange es mich begleitet.

Ich bin dankbar für das, was ich jetzt habe, und bereit, das Neue willkommenzuheißen, wenn der nächste Neubeginn ansteht. Oder, um mit den Worten Hermann Hesses zu schließen:

"Allem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben."

 

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!


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