
Wenn ich meinen Blick nach draußen richte, ganz gleich ob in die virtuelle oder die analoge Welt, erschlägt es mich schier, was da an Informationen, Neuigkeiten, Nachrichten, an Fehl-, Halb-, Fach- und scheinbar faktenbasiertem Wissen, an Webinaren, Seminaren, Vorträgen, Workshops, "Must haves" und "To Dos" über mich hereinprasselt. Meist wende ich mich rasch wieder ab, da mir von der Geschwindigkeit und Intensität der Reize ganz schwindelig wird. Wer soll da noch den Überblick behalten, was wirklich wichtig, echt und richtig ist?
Das Internet gleicht inzwischen einer virtuellen Markthalle, wo sich die Marktschreier gegenseitig an Lautstärke, Glitzer und Versprechungen überbieten. Seit einigen Jahren gibt es - mit rasant zunehmender Zahl - Experten, Coaches, Trainer und Weisheitslehrer in allen Sparten, und jeder scheint überzeugt davon zu sein, dass seine Lösung für ein spezielles, eng umschriebenes Problem, die einzig wahre zu sein scheint. Natürlich gibt es kostenlose Vorträge - online wie offline - in denen aufgezeigt wird, was wir alles nicht wissen und warum wir unbedingt einen Coach, Experten, Profi brauchen, der uns genau das sagt, was wir wissen wollen (oder sollen?).
Danach können wir eine persönliche "Coaching-Session" buchen oder den Masterkurs, um selbst zum Experten zu werden.
Wir werden mit (Marketing-) Rhetorik vom Feinsten beeindruckt, umworben und gezielt angesprochen und merken, dass wir tatsächlich wohl einige Defizite im jeweiligen Bereich haben, denn dieser selbstbewusste Experte zeigt uns klar auf, wo unsere Schwachstellen liegen und wir wirklich keine Antwort auf seine Fragen haben. Aber woher sollen wir wissen, ob das wirklich alles stimmt und nicht nur ein Verkaufskonzept oder Ablenkungsmanöver ist?
Mir kommt bei diesem bunten, lauten, hektischen, bisweilen auch aggressiven Treiben oft der Gedanke zu Worten über die Endzeit, wie sie in der Bibel erwähnt wird: "Nehmt euch in Acht vor denen, die in Gottes Namen auftreten und falsche Lehren verbreiten! Sie kommen zu euch, getarnt als Schafe, aber in
Wirklichkeit sind sie reißende Wölfe. Wie man einen Baum an seiner Frucht erkennt, so erkennt ihr sie an dem, was sie tun."
(Mt 7, 15-20)
In der Bibel beziehen sich diese Zeilen auf Menschen, die "in Gottes Namen" auftreten. An anderer Stelle spricht man auch von falschen Propheten, Irrlehrern oder falschen Christussen.
Mir scheint, dass sich diese Irrlehrer nicht nur auf den religiösen bzw. spirituellen Bereich beschränken, sondern auch alle anderen Sparten bevölkern. Ob es sich um hochwirksame Mikronährstoffe oder körperliche Entgiftung handelt, finanzielles Investment oder ökologischen Hausbau, um Traumaarbeit oder das Herzensbusiness mit Einkünften im sechsstelligen Bereich handelt - wirklich überall werden wir verlockt und bedrängt, verunsichert und überzeugt, getäuscht und belehrt.
Was in anderen Zeiten noch die Ernsthaftigkeit und Befähigung zu einem Beruf, was noch intensive Ausbildung, das Sammeln von Erfahrungen und vor allem Arbeit an sich selbst bedurfte, kann heute online über Webinare im Selbst- oder Präsenzstudium, über Ausbildungswochen in Sri Lanka oder auf Teneriffa, manchmal auch über Wochenendworkshops erlernt werden - vorausgesetzt, man kann sich die Vermittlung des exklusiven Wissens auch leisten, denn die (manchmal) höchstpersönliche Schulung durch einen Experten hat ihren Preis. Und wer das Geld nicht übrig hat, setzt - so erfahren wir - entweder falsche Prioritäten oder sollte zuvor sein Mangelbewusstsein klären und dazu am besten einen Kurs buchen, wie man Fülle in seinem Leben kreiert.
Wie schön, dass wir heute Lösungen und für jeden und praktisch umsetzbares Wissen mit Gelinggarantie überall und zu jeder Zeit verfügbar haben...
Menschen, die sich "echtes" Wissen über Jahre angeeignet haben, gehen in der Schar der Experten, Profis und Besserwissenden unter, wenn sie nicht in der gleichen Lautstärke mitschreien und die gleiche Frequenz an Posts und Veröffentlichungen in den sozialen Netzwerken an den Tag legen. Und mir scheint, dass die Mehrheit der Menschen es nicht einmal bemerkt, wie mit ihren tiefsten Sehnsüchten, ihren wunden Punkten und größten Ängsten Geschäfte gemacht werden mit fragwürdigem Ausgang.
Ist es ein Zeichen der Zeit, womit wir hier konfrontiert werden? Ist es ein Spiegel der Gesellschaft, die die Jagd nach schnellebigen und oberflächlichen Informationen verlangt? Oder steckt hinter der Verwirrung und Reizüberflutung eine Absicht? Sollen wir permanent abgelenkt, verunsichert und mit Fakten und Wissen schier erschlagen werden?
Was auch immer der Hintergrund sein mag: Was wir in dieser Zeit lernen dürfen, ist, unsere feine. leise Stimme aus unserer Mitte wieder zu hören. Wir haben die Chance, unsere Intuition zu schulen und ihr vertrauen zu lernen, wenn wir Wahrheit von Lüge, Show von Echtheit und marketing-gestütztes Pseudowissen von traditionellen Lehren unterscheiden wollen.
Und wir dürfen lernen, Prioritäten zu setzen. Muss ich wirklich immer und alles wissen? Ist diese oder jene Information für mich unabdingbar? Ist es zwingend notwendig, dass ich mich in allen Bereichen umfassend informiere und Kurse, Ausbildungen, Webinare buche? Was ist der Grund, dass ich glaube, nichts verpassen zu dürfen? Steckt dahinter eine Angst, etwas zu übersehen oder die Kontrolle über einen Lebensbereich zu verlieren? Möchte ich besser, informierter, weiser etc. als andere sein?
Oder gibt es vielleicht Themen, die mich mit Freude und Begeisterung erfüllen und die zu dem passen, was ich in meinem Leben tun oder verwirklichen möchte?
Eine wunderbare Methode, um eine Information, einen Dozenten, ein Buch, eine Entscheidung auf ihre Bedeutung für mich zu überprüfen, ist folgende:
Fokussiere dich in Gedanken auf die Person, den Ort, das Thema, die Information, die Entscheidung, wozu du Klarheit brauchst.
Achte auf dein Bauch-/Herzgefühl, das sofort wahrnehmbar ist. Fühlt es sich an, als ob die Energie "nach oben" geht, der Brustraum wird weit und öffnet sich, der Geist wirkt klar, positive Gefühle machen sich breit, dann gibt uns das, woran wir gerade denken, Energie und ist eher "gut" für uns.
Zieht sich jedoch alles zusammen, der Bauch- und Brustraum wird eng, die Energie sinkt, vielleicht sackt auch der Körper leich in sich zusammen, ein eher unangenehmes Gefühl ist wahrnehmbar, dann sollten wir achtsam sein und vielleicht etwas genauer hinsehen.
Mache dir dabei bitte bewusst, dass du während der Prüfung nicht den Kopf einschaltest und dein Wunschergebnis herbeirufst, indem sich andere Bilder, Argumente der Vernunft dafür oder dagegen oder ein "ich will aber" dazwischen schieben.
Das erste Gefühl ist dasjenige, das du näher betrachten solltest. Auch spagyrische Essenzen wie Mentha piperita (Pfefferminze) oder Euphrasia officinalis (Augentrost) können dabei helfen, den Geist zu klären und klar und deutlich sehen zu können, was wahr und für mich gut und richtig ist und wovon ich mich besser distanzieren sollte.
Nicht zuletzt dürfen wir vom "weniger ist oft mehr" Gebrauch machen: Lieber auf ein Video, einen Podcast, ein Coaching oder was auch immer verzichten, als unseren Geist zu überfrachten mit Eindrücken, Reizen, Informationen und Wissen, das alles verarbeitet und eingeordnet werden möchte. Oft vergessen wir, die Essenz aus unseren Erkenntnissen auch in die Tat umzusetzen und damit aus theoretischem Wissen echte, fühlbare Erfahrung und damit Lebensweisheit werden zu lassen.
Wenn wir zur Ruhe kommen und lernen, die innere Stimme wieder zu hören, werden wir erstaunt sein, wie viel Wissen und Fähigkeiten bereits in uns sind und nur darauf warten, geweckt und gelebt zu werden.
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