Wenn die Masken fallen...

Es mutet surreal an, wenn ich zum Einkaufen gehe und all die vermummten Menschen in den Läden sehe. An manchen Tagen habe ich das Gefühl, auf einem anderen Planeten gelandet zu sein, an anderen wiederum kann ich die gegenwärtige Situation mit Humor betrachten. Schwierig wird es, wenn ich die Angst, Bedrückung und Resignation meiner Mitmenschen wahrnehme und es mir schwer fällt, mich abzugrenzen. Dann fühle ich die Schwere und Last, die wir alle gerade kollektiv tragen, für die es jedoch an der Zeit ist, zu gehen, und einem Neuanfang mit Leichtigkeit und Freude Platz zu machen...

Es ist eigenartig, was hier gerade mit uns als Gemeinschaft wie auch mit jedem einzelnen geschieht. War es noch bis vor wenigen Wochen verboten, vermummt eine Bank zu betreten, ist es jetzt gesetzliche Pflicht (was nicht heißt, dass nun jeder Vermummte friedliche Absichten hat).

In der Psychologie beschäftigt man sich unter anderem damit, welche Masken der Mensch - im übertragenen Sinn - trägt, welchen Persönlichkeitsanteil er darunter verborgen hält und wie er es schaffen kann, sich ohne Maske zu zeigen. Echt, authentisch, schutzlos.

In den vergangenen Wochen habe ich mehrmals Situationen miterlebt, in denen die maskierten Menschen ihre Masken fallen ließen, unter dem Schutz ihrer Maske. Was ich damit meine? Nun, es erinnert mich etwas an die Umgangsformen im Internet. Da ist man zwar nicht maskiert, aber trotzdem geschützt durch die Anonymität und die 2D-Kommunikation, in der das zwischenmenschliche Feingefühl leicht abhanden kommen kann.

Ich habe Menschen erlebt, deren Mimik völlig von der Maske verborgen war, deren Augen jedoch Bände sprachen. Sie erzählten von Angst und Einsamkeit, von Traurigkeit oder Sorge. Sie huschten durch die Gänge des Supermarkts, umgeben von zahlreichen Kunden und Mitarbeitern, und waren doch alleine, gefangen in ihrer Emotion, jeden Blickkontakt meidend. Ich stellte mir vor, ob diese Personen ohne ihre Maske nicht vielleicht viel kontaktfreudiger wären. Oder selbstbewusster. Oder energischer. Doch die Maske verbirgt einen Großteil ihres Gesichts, ihre Sicht auf die Welt wie auch die Sicht, die wir auf diese Menschen haben. Nun ist sie eingeschränkt, diese Sicht, und damit kommt das Verborgene dahinter an die Oberfläche und zeigt, wie verletzlich wir doch sind, wenn die Masken fallen, wenn unsere sonst antrainierten Verhaltensweisen und Schutzmechanismen nicht mehr greifen.

Oder da waren die ganz anderen Menschen, die hinter ihrer Maske plötzlich zur Höchstform auflaufen. Die lautstark und vehement auf den erforderlichen, gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstand pochen, die auf die nicht korrekt angelegte Mund-Nasen-Maske hinweisen oder diejenigen zurechtweisen, die in einem Moment menschlicher Schwäche dem Bedürfnis nach Nähe und Herzenswärme nachkommen und einen anderen Menschen berühren oder gar umarmen!! Hinter der Schutzmaske (wovor schützt sie eigentlich noch?) weicht mit einem Mal der geringe Selbstwert, die Zurückhaltung oder die Höflichkeit. Hinter der Schutzbarriere können sich plötzlich Eigenschaften entfalten, die sonst wohl eher unterdrückt werden. Plötzlich ist der Mut da, Grenzen zu setzen oder seiner Angst Ausdruck zu verleihen, auch wenn es etwas unbeholfen erscheint. Natürlich zeigt sich da auch die Perönlichkeit, die mit Menschen, die sich weniger streng an die Gesetze halten, eher wenig anfangen kann, aber sie zeigt sich.

Aus diesem Blickwinkel ist der zur Zeit eher unangenehme Einkauf eine Möglichkeit, meine maskierten Mitmenschen dabei zu erleben, wie ihre inneren Masken fallen. Ich wünsche mir, dass diese Veränderungen Wellen schlagen in deren Leben. Dass sie mutiger werden, sich ihrer Wahrheit zu stellen, ihren Gefühlen und Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen und sich zu zeigen, so wie sie sind. Nur so haben wir eine Chance zu echter Begegnung.

Stell Dir vor, wir kommen in einen Dialog, indem wir beginnen, einander zu verstehen. Die tiefere Wahrheit hinter dem vordergründigen Verhalten zu verstehen und zu achten. Stell Dir vor, Du kannst Dein Gegenüber mit seiner Angst, seiner Sorge oder seinem verletzten Selbstwert wahrnehmen und genau dort abholen. 

Stell Dir vor, Du kannst einer Person, die Dir Rücksichtslosigkeit vorwirft, weil ihr Bedürfnis nach dem geforderten Sicherheitsabstand, ihr Bedürfnis nach dem Einhalten ihrer Grenze nicht geachtet wurde, mit Verständnis begegnen. Stell Dir vor, Du würdest diese Person nicht ignorieren oder ihr eine patzige Antwort geben, sondern ihr sagen: "Oh, ich sehe, dass ich Ihr Bedürfnis nach Abstand nicht beachtet habe. Ich wollte Sie nicht beunruhigen. Bitte entschuldigen Sie." Wenn Du diese Worte achtsam, ehrlich und mit Liebe in Deinem Herzen für diesen Deinen Mitmensch aussprichst, wird eine Begegnung geschehen. Du hast Dein Gegenüber gesehen, hinter seiner Maske, mit seinem Bedürfnis nach Abstand, mit seiner Angst und Verunsicherung.

Ganz gleich, wie dieser Mensch nun reagiert: Du hast einen Unterschied gemacht. Und dieser Unterschied verändert etwas. Wie der Stein, der ins Wasser geworfen wird und den Ozean verändert. Unterschätze nicht die Macht, die Dir jeden Tag zur Verfügung steht, um diese Welt zu verändern und durch eine Herzensberührung eine Entwicklung anzustoßen. Ganz sanft und liebevoll, aber voller Kraft und Wärme.

Welche Masken trägst Du, ob mit oder ohne Gesichtsmaske? Ist da auch etwas, das nun nach außen drängt, das gesehen, gehört, beachtet werden möchte?

 

Bedenke: Die Augen sind das Tor zur Seele. Auch Deine Augen. Selbst wenn man hinter Deiner Maske Dein Lächeln nicht sehen kann - man sieht es an Deinen Augen... und man fühlt es - durch alle Schichten hindurch. 

Sei Du selbst die Veränderung, die Du in dieser Welt sehen willst, und fang gleich damit an!

Stefan Keller / Pixabay
Stefan Keller / Pixabay

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